Frauenmonster / Juli 2024
Frauen wurden zu Monstern erklärt, um ihnen monströses anzutun. Ihnen wurde Gewalt angetan, weil die Kontrolle, die sie über ihren eigenen Körper hatten, gefährlich war für die Reichen und Mächtigen, die noch reicher und mächtiger werden wollten. Der Übergang zum Kapitalismus bedingte Kontrolle über das Proletariat zu erlangen - und natürlich dessen Reproduktion.

Nicht nur Frauen wurden zu Monstern erklärt, sondern unter Armut1 leidende an sich. Scharen von Armen, die über die Städte und Dörfer herfallen…

Lohn ist ein Werkzeug der Unterdrückung. Wer Kontrolle über den Lohn ausübt, übt Kontrolle über den Lohnarbeiter aus. Und über seine Familie, deren Arbeit unsichtbar wird, dadurch, dass sie nicht vergütet wird.

Ist ein System der Unterdrückung etabliert, kann der Terror zurückgefahren werden. Das System benötigt keine ständige Gewalt, um aufrecht erhalten zu werden. Die Gewalt ist in das kollektive Bewusstsein eingraviert. Wir leben mit den Spuren der Flammen, die unsere Vormütter verschlangen, des Wassers, das sie ertränkte, der Schläge, die sie ertrugen.

Ich meine mich zu erinnern, dass ich als Kind davon ausging - als ich zum ersten Mal von den Hexenverfolgungen hörte - dass es dabei um Aberglauben und eine echte Angst vor Hexen und Dämonen ging. Später wurde mir beigebracht, dass die Hexenverfolgung ein gezielter Angriff auf jegliche Unabhängigkeit und Macht war, die Frauen hatten. Sie wurden zurückgedrängt aus dem öffentlichen Leben.

Merkt man, dass ich gerade Silvia Federicis „Caliban and the Witch - Women, the Body and Primitive Accumulation“ lese?

„Primitive accumulation, then, was not simply an accumulation and concentration of exploitable workers and capital. It was also an accumulation of differences and divisions within the working class, whereby hierarchies built upon gender, as well as ‚race‘ and age, became constitutive of class rule and the formation of the modern proletariat. […] [C]apitalism has created more brutal and insidious forms of enslavement, as it has planted into the body of the proletariat deep divisions that have served to intensify and conceal exploitation. It is in great part because of these imposed divisions - especially those between women and men - that capitalist accumulation continues to devastate life in every corner of the planet.“2

Es gab eine Zeit während meiner Kindheit, in der ich einen wiederkehrenden Albtraum hatte, von einer Hexe, die mich essen wollte. Sie hatte kleine Kobolde als Helfer, weil sie mich selbst nicht berühren konnte. Ich gab ihr in meiner Vorstellung immer mehr Handicaps, bis ich irgendwann keine Angst mehr vor ihr hatte.

Frauen ersetzten öffentliches Land als Gemeingut, während sie selbst am meisten unter dessen Privatisierung litten. Mit am offensten sieht man diese Wahrnehmung von Frauen heute in der Incel-Kultur, die sich online (und offline) wie ein Wildbrand zu Dürrezeiten verbreitet hat. Aber kein Mensch ist heute frei von diesem Glauben, der jahrhundertelang wiederholt und verstärkt wurde.

Ich finde das Konzept Schwangerschaft verstörend und frage mich, ob das mit den sozialen Strukturen zusammenhängt, die gebärende Menschen von ihren Körpern entfremden, ihre Körper zu Inkubatoren erklären, die sich leider manchmal wehren, oder ob Schwangerschaft - das beherbergen eines wachsenden Menschen im eigenen Körper, eines kleinen Aliens, eines kleinen Parasiten, mit dem man sich das Blut teilt und der in einem pupst und pisst und einen von innen tritt - grundlegend seltsam und befremdlich ist. Der Verlust reproduktiver Rechte kann hier nicht helfen und vielleicht könnte ich mich mit der Vorstellung einer Schwangerschaft eher anfreunden, wenn die Erfahrung nicht so aufgeladen wäre mit Gewalt und Kontrollverlust.

Nur weil alles so geschehen ist, wie es geschehen ist, heißt das nicht, dass es so kommen musste. Dass sich Kapitalismus und Patriarchat durchsetzten war nie selbstverständlich oder unaufhaltsam. Mich nerven Menschen, die behaupten, es gäbe keine andere Option als das System, in dem wir leben, dass es der menschlichen Natur entspräche, mehr als alle Systeme, die ihm vorangingen oder alle, die wir uns vorstellen könnten. Dass Kapitalismus der Grund für alles Gute auf der Welt sei, Grund für jede Innovation und Verbesserung des Lebensstandards in Europa. Wer sich keine Welt ohne Hierarchien und Unterdrückung vorstellen kann, ist einfallslos. Wer behauptet, Menschen seien grundlegend egoistisch und machthungrig, sagt mehr über sich selbst als den Rest der Menschheit.

Fortschritt ist eine männliche Einbildung. Ich sehe nur Veränderung, immerwährend.

Ich fühle eine tiefe Verbundenheit mit Tieren. Aus keiner romantischen Vorstellung von „Natur“, sondern eher in einem sozialen Kontext. Schließlich wurden Frauen einst mit Tieren gleichgesetzt, auch wenn das heute nicht mehr viele so sagen würden. Ist eine Frau, in ihrer sozialen Stellung, nicht weiter von einem Mann entfernt als von einer Kuh? Frauen wurde das Menschsein aberkannt im Übergang zum Kapitalismus. Sie haben es sich über Jahrhunderte langsam zurückerkämpft, das Menschsein. Doch was ist dieses Menschsein überhaupt? Eine Erhebung über Tier und Erde? Will ich ein Mensch sein wenn Menschsein Mord und Unterdrückung ist?

1986 schrieb Ursula K. Le Guin in ihrem Essay „The Carrier Bag Theory of Fiction“: „Solange der Ursprung und die Entwicklung von Kultur aus dem Gebrauch von langen, harten Gegenständen zum Stechen, Schlagen und Töten erklärt worden ist, war es mir nie in den Sinn gekommen, dass ich damit irgendwas zu schaffen hätte oder haben wollte. […] Wenn es aber zum menschlichen Verhalten gehört, verschiedenste Dinge, die du gerne haben möchtest, weil sie nützlich, essbar oder schön sind, in eine Tasche oder einen Korb zu legen, […] wenn es das ist was es braucht, dann bin ich am Ende doch ein Mensch. Vollkommen, frei und gerne menschlich, zum ersten Mal.“3

Ich trage alles in meiner Tasche. Es vermischt sich, stellt sich nebeneinander. Ich sammle etwas und lege es zu dem Anderen in meiner Tasche. Dort existiert es im Kontext meiner Sammlung, verändert Zusammenhänge und wird durch diese verändert.

Ich schreibe hier die ganze Zeit von Frauen, weil das die Perspektive ist aus der ich sprechen kann. Gleichzeitig kann ich mich nicht ganz mit dem Frausein identifizieren. Gleichzeitig verbindet mich das Frausein mit all denen, die vor mir kamen. Und auch mit Nicht-Frauen. In einer Welt der weißen reichen Männer sind alle Anderen Alle Anderen. Mich als Frau einzuordnen ist sinnlos und nützlich zugleich. Ich könnte mich als Nicht-Mann einordnen, aber abgesehen davon, dass das einfach traurig wäre, wäre es nicht wahr. Ich habe männliches an mir. All diese Gedanken sind noch im Ofen, am Backen.

Ist Weiblichkeit an sich schon queer? Wenn ich die Performance und Ästhetik von Weiblichkeit vom Körper löse, vom weiblich designierten Körper und von allen anderen Körpern, und an sich betrachte… ist sie ausgeschlossen von der Norm, von der Männlichkeit. Ist das schon queer? Wenn queer „einfach nur“ nicht-straight ist… kann dann die Performance von Weiblichkeit, selbst in einem heterosexuellen Kontext, queer sein, weil weibliches Verlangen und Sexualität tabuisiert sind und in einem heteronormativen System unerwünscht, das männliches Verlangen und männliche Sexualität zentriert?

Vor etwa einem Jahr habe ich „Females“ von Andrea Long Chu gelesen, ein kleines Buch, das die These aufstellt, „that femaleness is a universal sex defined by self-negation, against which all politics, even feminist politics, rebels. Put more simply: Everyone is female, and everyone hates it. […] I‘ll define female as any psychic operation in which the self is sacrificed to make room for the desires of another. […] When I talk about females, I am not referring to biological sex, though I’m not referring to gender, either. […] [B]ut rather a universal existential condition […].“4 Auch wenn ich nicht ganz mit ihrer These übereinstimme - und sie wahrscheinlich nicht ganz begreife - beeinflusst sie mein Denken. Grundlegend habe ich aber das Wort Weiblichkeit anders benutzt als hier beschrieben also kann wohl beides gleichzeitig in meinem Kopf umherschwirren. Es liegt in meiner Tasche.

Ein Monster ist ein Wesen, dessen Leben weniger wert ist. Ein Monster ist ein Wesen, das monströses tut oder von dem behauptet wird, monströses zu tun. Was ist monströs? Macht, die ist, wo sie nicht hingehört. Wenn man die Definition von Monster nachschlägt, taucht das Wort „böse“ nicht auf. Ist das überraschend? Mich überrascht es und es gefällt mir.

Wer über Schönheit definiert wird, wird zugleich nach seiner Hässlichkeit beurteilt.

In der (Kunst)Geschichte, wie sie allgemein geschrieben ist, sind Frauen Objekte. Stillleben.

Wir sind Monster mit Zähnen, die beißen, und Nägeln, die kratzen, Augen, die schauen, und Mündern, die sprechen. Hunderttausendmillionenmal lieber bin ich eine Hexe mit Warzen und Furunkeln, ein Oger mit stinkenden Pupsen, eine Bestie mit neun Köpfen, eine Gorgone mit Schlangenhaaren, … als ein aalglatter, langweiliger Prinz.
1Armut wurde zugleich verweiblicht. Frauen wurden besitzlos; Frauen wurden Besitz.
2Federici, Silvia. “The Accumulation of Labor and the Degradation of Women.” Penguin Classics, 2021, pp. 62–63.
3Le Guin, Ursula K. “Die Tragetaschentheorie Der Fiktion.” Carrier Bag Fiction, Spector Books, Leipzig, 2021, pp. 40–41.
4Long Chu, Andrea „Females.“ Verso, London/New York, 2019, pp.11-12.